Was gleich bleibt

Suza und ich haben uns lange nicht gesehen. Das liegt nicht daran, dass wir uns nicht mehr mögen, es ist einfach der Lauf der Dinge gewesen, der Alltag, der Job … und jetzt werden die Tage auch nicht länger. Nur die Schatten.  Die Sonne steht verdammt tief dieser Tage, denn es ist Herbst geworden. Ich warte in der Limobar auf Suza. Sie ist zur Toilette gegangen. Wie ein Rohrspatz hat sie noch vor ein paar Minuten geschimpft, als sie durch die Türe trat. So richtig habe ich sie nicht verstanden. Ich glaube, es ging um einen schwer erkälteten Apotheker, der ihr beim Verkauf von Halsschmerztabletten erst praktisch ins Gesicht genießt und dann, ohne sich die Hände zu waschen, das Wechselgeld heraus gegeben hat.
„Kack-Herbst!“, sagt meine Freundin, als sie sich mir gegenüber an den Tisch setzt.
„Hallo!“, sage ich.
„Jedes Jahr das Gleiche! Und jetzt werden wieder alle krank. Manches ändert sich einfach nie.“ Suza ist fast richtig betrübt und ich versuche, sie aufzumuntern:
„Doch! Studenten ändern sich. Stand ich vorhin an der Haltestelle neben ein paar Exemplaren – von metrosexuell bis Granny-Look, Anfang 20, und die Dicke in Leggins sagt wortwörtlich: <Krass, Alda! Sacht mein Prof drei Worte, die ich krass erst ma googlen muss!> … Ich meine, das ist ja keine schlechte Voraussetzung, wenn der Prof mehr weiß, aber ich fürchte, die Gute muss drei Wörter pro Minute gogglen und verpasst dabei die nächsten vier! Wie kommt man heute eigentlich auf die Uni? Weil man sich in der Aula eh gerade um Flüchtlinge gekümmert hat? Oder Verlosung beim Helene Fischer-Konzert?“
Suza hat gar nicht zugehört. Sie sagt: „Fußball ändert sich auch nie. Und Pferderennen. Immer und in alle Ewigkeit gleich. Nur die Pferde heißen dann anders. Und die Fußballer. Aber wir sterben. Irgendwann ist es vorbei. Und das wahrscheinlich, weil der Apotheker uns mit einer tödlichen Erkältung angesteckt hat.“
Ohje, das hört sich nach einer echten Suza-Herbst-Stimmung an. Und da sie eh nicht zuhört, sage ich halt, was mir gerade einfällt: „Apropos Tod: Ich denke, wir sollten mehr Tiere aus Massentierhaltung essen. Weißt Du warum? Weil nämlich diese armen Tiere unglücklich sind. Wie schade, wenn man darüber nachdenkt, dass man ständig so einem Freiland-Bio-Tierchen das glückliche Leben nimmt. Dann lieber die Massen vom Elend befreien!“
Suza nickt und erwidert: „Wenn wir uns jetzt wieder so Sachen wie Paleo zuwenden, ist das dann nicht ein Rückschritt? Wollen wir wieder kleiner bleiben und jünger sterben?“ Alles möglich – Dank Paleo-Diät. Essen wie in der Steinzeit.“
Ich schaue in die Luft und finde noch eine Luftschlange an der Decke, die Hubert wohl vergessen hat.  Karneval. Ich wende mich wieder Suza zu: „Mir kommt es vor, als sei gerade erst noch Karneval gewesen. Es ist so wahnsinnig viel passiert dieses Jahr.“
Suza erwidert: „Die Jahreszeiten. Die bleiben auch immer gleich. Aber was ist eigentlich mit dem Winter des Lebens? Das neue Jahr beginnt im Winter. Also beginnt das Leben auch im Winter. Kein Wunder, dass dann der Herbst das Ende ist.“
Jetzt gucke ich Suza sehr besorgt mit schrägem Kopf an.

In dem Moment, in dem ich Suza mitteilen will, dass wir völlig aneinander vorbei reden und uns zur reibungslosen Verständigung eventuell doch öfter sehen sollten, kommt Hubert an unseren Tisch, erkennt uns beim zweiten Blick und fragt etwas distanziert, ob wir einen Doppelten wollen. Suza und ich fragen simultan: „Was ist das – der „Doppelte“?“
Hubert sieht uns entgeistert an und ein leises „Korn“ rutscht über seine Lippen. Ohje, jetzt haben wir ihn enttäuscht. Wir sollten unbedingt wieder häufiger hierher kommen!

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