Es ist der erste wirklich schöne Tag des Jahres und wir sitzen im kleinen, aber feinen Biergarten der Limobar. Die Sonne strahlt uns auf die Nase, Mone öffnet ihr Dekolleté ein wenig, um über jeden nur möglichen Zentimeter ihrer Haut die so lang vermisste Wärme spüren zu können.
Hubert hat den Sommer schon eingeläutet, indem er die Getränke nun mit Schirmchen präsentiert. Auch das Bier. Der Winter war einfach zu trübe und zu lang.
Ich schließe die Augen und habe umgehend eine Frage. An mich selbst. Aber zunächst an Mone.
„Mone, was ist der perfekte Tag für dich?“
Etwas widerwillig nur scheint sie sich aus ihrer Sonnenbadetrance herausziehen zu lassen und fragt in verkürzter Umgangssprache: „Und dein?“
Selbstverständlich hätte ich nicht gefragt, hätte ich diese Frage für mich selbst nicht schon beantwortet. Ich schüttele den Kopf, dass es tatsächlich noch Menschen gibt, die überrascht und überfordert sind, wenn sie – oh Wunder – die von ihnen gestellte Frage wie einen Boomerang zurück vor den Kopf gedengelt kriegen.
„Ich definiere gar nicht den ganzen Tag. Aber ich brauche einen Menschen in diesem Tag, mit dem ich, wenn ich ihn nicht sehen kann, erst telefoniere und aus Sehnsucht sofort wieder anrufen möchte … direkt nach dem Auflegen. Weil man so viel gelacht hat. Weil man sich versteht wie niemand anders. Weil man sagen kann, was man zu sagen fühlt und sich nicht in Acht nehmen muss, dass es falsch ist oder verkehrt ankommt. Wenn man zusammen über das herzieht, wo andere vor Schreck über politische Unkorrektheit die Hand vor den Mund reißen. Und man selbst weiß aber, dass es ja gar nicht sooooo böse gemeint ist. Schon böse, aber … naja … Und dann sieht man sich und es entsteht das Gefühl von zuhause. Heimat. Hafen. Vertrautheit. Das Gefühl, dass mit diesem Menschen in deinem Leben nichts – absolut nichts -passieren kann, das dich aus der Bahn wirft. Denn inmitten der Fliehkräfte wirst du eine starke Hand spüren, die dich am Kragen packt und in den Schlitten zurück reißt … Immer!“
Ich unterbreche meine Beschreibung, weil Mone mit einen Blick zuwirft, der über Augenverdrehen weit hinausgeht. „Gönn dir …“, murmelt sie.
Ich werfe ihr einen auffordernden Blick zurück zu. Dann ist sie halt dran:
„Als erstes gehe ich schwimmen.“
„Du hasst schwimmen“, erwidere ich wissend.
„Nein, ich hasse Schwimmbäder mit Schwimmern. Deswegen gehe ich ein Schwimmbad, in dem sich kein Mensch befindet.
Ich nicke, sie fährt fort:
„Dann gehe ich in die Sauna …“
„Du hasst S…“, will ich sagen, aber sie winkt ab.
„In der Sauna ist niemand.“
„Natürlich“, sage ich.
„Dann beschimpfe ich die dicke Henne Müller von nebenan mit so hochgradig toxischen und jugendverbotenen Worten, dass mir selbst die Schamesröte ins Gesicht steigt.“ Sie grinst, ich sage: „Aber logischerweise ohne, dass es jemand hört.“
„Gewiss.“ Mone erfreut alleine der Gedanke daran. Und dann fällt ihr noch etwas ein.
„Und gegen Abend … oder auch Mittag … setze ich mich in eine Bar und genieße. Das Sitzen, das Sein, das Getränk.“
„Und in dieser Bar ist natürlich auch niemand. Noch nicht einmal ich?“
Nun sieht Mone mich empört an:
„Doch selbstverständlich!“ Ich lächle leicht in freudiger Erwartung und Mone sagt:
„Da ist eine Bedienung.“ Mone stockt kurz, ergänzt: „BedienungskräftIn oder meinetwegen auch ein/e Barserviceexpert mit Sternchen … also auf jeden Fall kommen die Getränke von fast alleine. Schwebend. In den Händen eines sehr, sehr schönen Menschens!“
„Der nicht spricht“, vermute ich.
„Der natürlich nicht spricht. Kann aber auch eine „sie“ sein.“
Ich nicke und wir schweigen eine Weile in unseren Träumen gefangen.
Dann kommt Hubert und ich will es wissen:
„Hubert was ist dein perfekter Tag?“
„Keine Ahnung“, sagt er. Da habe ich noch nie drüber nachgedacht.
Jetzt ist Mone erstaunt und ich bin irritiert. Wir sind uns einig: Wie kann man noch nie nicht einmal über einen perfekten Tag nachgedacht haben?
Aus Mone platzt es heraus: „Ja, aber entschuldige bitte. Wenn du dir keine Ziele steckst, dann hast du ja auch nichts, was du anstreben kannst. Wie traurig ist das denn?!“
Hubert sieht Mone mit großen Augen an, bevor er die mitgebrachten Schirmchen liebevoll neben die Eiswürfel in unseren Gläsern platziert und dann spricht er weise und überzeugt leise:
„Manchmal. Also eigentlich ganz oft sitze ich irgendwo einfach da, lasse den Tag Revue passieren und sage mir: Hubert, das war ein guter Tag. Der war wirklich ganz schön. Und dann bin ich glücklich. So einfach reingestolpert. In das Glück.“
Wie ferngesteuert greifen Mone und ich zu unseren Strohhalmen und sagen dann auch nichts mehr.