Suza ist wieder da. Sie sitzt Mone gegenüber und starrt sie an. Hubert hat seine Liebeslieder-Playlist aufgelegt und Suza atmet sehr tief ein und aus. Ihre Augenringe haben olympische Ausmaße angenommen, eine große Sonnenbrille verdeckt ihre roten Augen. Mone greift nach ihrer Hand und sieht sie an.
„Sag mal,“ spricht Suza plötzlich leise und hebt ihren Blick. „Also, ich frag für `nen Freund …“
„Natürlich…“ Mone nickt.
„Was ist schlimmer: Wenn jemand, den du sehr liebst, stirbt, oder, wenn dich jemand nicht mehr liebt, dem du ewige Liebe schwören würdest? Theoretisch.“
Mone überlegt nicht lange: „Wenn jemand stirbt, dann hat er dir seine Liebe ja nicht entzogen. Also letzteres.“
Suza nickt. „Kannst du dir vorstellen, dass es Menschen gibt, die das niemals erleben müssen? Also letzteres.“
Mone nickt nun auch: „Ja. Die Glücklichen. Dafür haben sie sicherlich andere Probleme.“
„Sicher.“ Suza stimmt zu und versucht sich vorzustellen, welche Probleme das sein könnten. Damit sie nicht komplett in ihren Gedanken versinkt, hakt Mone nach:
„Was ist mit deinem Freund?“
„Wer?“ Suza ist kurz irritiert, ordnet dann aber ihre Gedanken:
„Wenn du einem Menschen begegnest – und das tut man ja nicht so häufig – der deine Seele zu streicheln vermag, der deine Narben heilen kann, die er selbst nicht verursacht hat. Wenn er dich versteht. Du dich mit ihm sicher fühlst, deine tiefsten Geheimnisse und Gefühle bei ihm geborgen zu sein scheinen, du Leichtigkeit erfährst und du weißt, dass, egal, was jetzt noch kommt, dir dieser jemand immer wieder ein Strahlen ins Gesicht zaubern kann. Und wenn du das Gefühl hast … hattest …, dass du das erwidern kannst, dass du da warst, obwohl die Zeiten gar nicht so leicht waren. Dass du Halt gegeben und dein Herz geöffnet hast, damit dein Gegenüber dich als jemanden sehen kann, der nicht nur genügt, sondern mehr ist, als sich irgendwer erträumen könnte … Also, zumindest glaubst du das. Und dann ist alles nur noch Schall und Rauch.“
„Ui“ weiß Mone in dem Moment nur zu sagen. „Vielleicht sollte man sich das aufschreiben, was dann mit einem passiert. Dann weiß man zumindest, was einen das nächste Mal erwartet.“
„Ja genau“, erwidert Suza. „Die fünf Phasen er Trauer. Phase eins: Schreien! Laut! Und dann rennen. Oder gehen. Lange. Egal wohin. Ablenkung nicht möglich. Selbstzweifel überbordend Besitz ergreifend.“
Suza kann das fortsetzen: „Phase zwei: Körperliche Schmerzen, weil jeder Gedanke nur in eine Richtung geht. Von morgens bis abends. Eine Entscheidung treffen zwischen „den Schmerz bei sich lassen“ oder Amok laufen. Sich so alleine zu fühlen wie nie zuvor und trotzdem funktionieren. Dabei schließt das „Funktionieren müssen“ den Amoklauf aus. Und egal, mit wie vielen Vertrauten du darüber redest und alle dir sagen, dass das, was du tust, das Richtige sei, weil es Selbstschutz bedeutet, letztendlich muss du alleine da durch.“
Mone liefert Phase drei: „Auf deinem Herz sitzt ein Elefant. Es schlägt nicht mehr regelmäßig. Es beginnt der Kampf um das Loslassen. Sich Gedanken verbieten und nicht verhindern können, dass die gemeinsamen magischen Momente immer wieder vor deinem Auge ablaufen. Wieder und wieder. Genauso wie das Gefühl der Demütigung, das durch die Ablehnung generiert wurde.“
„Ja“, sagt Suza. „Und dann geht es irgendwie weiter. Weil es immer irgendwie weitergeht. Hundert Dinge, die deine Erinnerung immer wieder triggern, die deinem vermeintlich stillgesetztes Herz immer noch einflüstern, dass es blühen soll. Immerhin hast du mittlerweile vergessen, welches die Lieblingsblume deiner vergeblich Verflossenen ist.“
Und Mone kann ergänzen:
„Und dann kommt Phase fünf. Irgendwann. Ganz einfach. Die Hoffnung stirbt und du bist frei!“
Mone Und Suza schweigen für eine Weile. „Ja, frei für das Gleiche, was dir wieder genauso passieren kann. Und zugleich weißt du nicht, wieviel Teil Herz du abgegeben hast, das du nicht mehr wirst zurückholen können. Weil du geglaubt hast, dass es das wert war.“ Suza seufzt. Und Mone weiß: „Naja, und letztendlich entscheidet jeder für sich selbst, was, sei es aus Erfahrung, Impuls, Schmerz oder Irrsinn, das Beste ist.“
Suza ergänzt: „Genau. Gewollt oder unwillig.“
Mone sieht ihrer Freundin lange in die müden Augen und beschließt zu handeln:
„Komm, wir gehen ins Kino. Der letzte Almodovar-Film läuft noch. Da stirbt jemand. Das wird dich aufmuntern.“
„Witzig … “, erwidert Suza.
Und als sie gehen, bemerkt es Hubert noch nicht einmal. Denn er knutscht sein Mariechen hinter der Theke.