It’s all about the traffic!

Als ich die Limobar betrete, sitzt Suza schon an ihrem Stammplatz und ihr gegenüber steht mein Getränk. Ich bin schon wieder zu spät. Pünktlichkeit ist dieser Tage zu einem Luxus geworden. Genauso wie handgeschriebene Briefe. Oder WLAN-freie Hotspots am Strand von Honolulu oder Timmendorf. Aus Prinzip bin ich der Meinung, dass mir der Mensch, auf den ich warte, meine Zeit stiehlt, sobald die erste Minute Verspätung zu ticken beginnt. Und dennoch ist das Quatsch, denn spätestens dann gesellt man sich doch zu der freilaufenden Gemeinschaft der Gebückten, senkt den Kopf und beschäftigt sich mit elementaren Dingen in seinem Handy, um Zeit zu sparen, schnell noch Dinge zu erledigen. Wer guckt denn noch wartend einfach in die Gegend? Da würde man doch umgehend verdächtigt, ein Terrorist oder Zeuge Jehovas beim Auskundschaften neuer Opfer zu sein. Suza guckt nicht auf ihr Handy, sondern auf den Wirt Hubert, der just in diesem Moment ein großes Tablett voll mit Gläsern über die Theke schmeißt. Aus Versehen oder aus Spaß ist spontan nicht auszumachen, zumindest bekommt er einen gigantischen Lachflash. Ich begrüße Suza mit einer Entschuldigung:

„Sorry, mein Zug hatte Gegenwind!“ Suza schüttelt den Kopf. „Na gut, ich hab mich in meinem Rechner festgebissen und die Zeit vergessen. Tschuldigung!“ Suza nickt. „Hallo, „Simone“!“, sagt sie. – „So heiße ich nicht! Mone. Mein Bloggername ist Mone. Mone, Limone, Limobar, verstehste?“ Suza sieht mich schräg an: „Nein, eigentlich nicht. Limobar heißt der Blog doch nur, weil du die Domain vor hundert Jahren gebucht hast, weil du den Namen putzig fandest und dir jetzt Zusammenhänge aus den Fingern gesaugt hast.“ – „Pssst!“, fahre ich sie an. „Was, wenn das jemand mitliest! Ich habe doch jetzt Traffic auf meiner Seite.“ Suza ist nicht so gut gelaunt, was ich aufgrund meiner Verspätung auch verstehen kann. „Und mit diesem Traffic kannst du umgehen, aber der Bahnverkehr im Großstadtdschungel überfordert dich nun stets akut?“ Ich bin sehr stolz darauf, dass ich es völlig unwissend geschafft habe, Hexen mit Ohrstöpseln herunterzuladen, um überhaupt Verkehr auf meine Heimseite einladen zu können. Selbst geheimnisvolle Gravatare und furchterregende Favicons sind mir begegnet. Eine Blogseite ist der pure Fantasy-Spielplatz, wenn man Fantasie hat. „It’s all about the traffic!“, teile ich Suza auf Neudeutsch mit und nehme einen tiefen Schluck aus meinem Glas. Nun sieht Suza mich mitleidig an. Einerseits, weil ich komische Sachen rede, auf der anderen Seite, weil ich hätte wissen müssen, dass sich meine Aussage bei ihr umgehend in einen Ohrwurm verwandelt und sie nun lauthals und schräg „Ich will mehr Schiffsverkehr … “ singt. Ich lasse sie singen. Das habe ich verdient. Als sie ausgesungen hat, weil ihr der Rest des Textes nicht einfällt und Herbert Grönemeyer auch nicht neben uns sitzt, so dass sie ihn fragen könnte, wendet sie sich mir wieder zu: „Ein Königreich für ein paar Plugins, wa?!“ Meine Augen verengen sich zu Schlitzen und ich sende böse Blickblitze über den Tisch. Nur, weil ich Kamasutra mit Origami verwechsle und neuerdings auch Plugins mit Earplugs, habe ich Souza nicht den Freifahrtschein verliehen, nur noch über mich herzuziehen. Ok, den Blick hat sie augenblicklich verstanden und säuselt besänftigend: „Wie läuft es denn mit deinem Blog?“ – „Gut. Sehr gut“, versichere ich kurz. – „Schreibst du jetzt jeden Tag?“ – „Oh, nein, da hat doch kein Mensch Zeit für!“ Suza fragt nach: „Um jeden Tag zu schreiben?“ Ich schüttle den Kopf: „Um jeden Tag zu lesen!“ Suza lächelt und fragt investigativ weiter: „Und hast du auch schon über Inhalte nachgedacht?“ – „Was für Inhalte?“ Ich bin verwirrt. Suza ergänzt: „Naja, worüber schreibst du? Über Liebe? Tod? Menschen? Straßenverkehr und Reiseberichte, Neuzeitprobleme, Tierbabys, Politik oder kontrovers Polarisierendes, damit die Leser diskutierend kommentieren? No traffic ohne Inhalte!“ Suza hat mich kalt erwischt. Da habe ich tatsächlich noch nicht drüber nachgedacht und murmle: „Na, über all das eben …“ Suza lacht: „Aber dann vergiss bloß mal nicht auch durch die Außenwelt zu reisen, damit sie dir Inhalte liefert, „Mone“!“ Ich kann nicht mehr kontern. Ich suche in meinem Kopf nach Inhalten. Aber nahezu unbewusst gelingt es mir immerhin, Souza einen Bierdeckel an den Kopf zu werfen und kleinlaut einzugestehen: „Du hast ja Recht!“

„Siehste!“, sagt Suza. Hubert sieht, dass unsere Gläser leer sind und schreit herüber: „Mädels?! Jetzt ’nen Doppelten?“ Wir rufen wie aus einem Munde zurück: „Nein danke, Hubert! So schlimm ist es noch nicht!“

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