Die Qual der Wahl

Äußerst unwillig trotte ich Suza hinterher, die fest davon überzeugt ist, dass es eine ganz hervorragende Idee ist, am Mittwochabend vor Weiberfastnacht noch schnell ein paar neue Karnevalskostüme zu shoppen. Immerhin habe ich es mit aller grundsätzlicher Euphorie zur Sache – also lethargisch mit aufgesetztem Lächeln – geschafft, sie davon zu überzeugen, dass mich kein Mensch, kein Pferd und noch nicht einmal das Wort „Feigling!“ – dieses Mal – in eine der großen Ketten mit Riesenauswahl an anderen Tollwütigen, die jetzt noch Kostüme brauchen, bringen kann, es demnach also ein kleiner, unbekannter Einzelhandelsladen sein muss. An einem kleinen Schaufenster in einer Seitenstraße bleibt Suza stehen und klatscht freudig in die Hände. Ich laufe in sie rein und verdrehe die Augen. Dann betrachte ich Suzas Grund zur Freude: Eine Menschenansammlung in Form von Schaufensterpuppen steht um einen Efeu-Busch herum und hat sich lustige Tierkostüme angezogen. Auf dem Boden liegt verloren eine grüne Perücke, die ihre Haare von sich streckt. Vermutlich ist der Träger vor Scham im Erdboden versunken und hat der Nachwelt sein Haar gelassen. Ich überlege wie ich mich fühlen würde, wenn ich jetzt inmitten dieser Gruppe am Zug stünde und „Kamelle!“ schreie. Schluck Kölsch dazu, lächeln … nein, die haben keinen Spaß. Ernste Gesichter und Schweigen. Nur die Kinder lächeln etwas schräg, aber sie scheinen auch auf Droge zu sein. In Ermangelung einer Alternative begebe ich mich aber besser schnell in den Laden, denn ich sehe gerade noch wie die Tür hinter Suza zufällt. Es gibt kein Zurück.

Kaum im Innern muss ich einmal kräftig niesen. Hoffentlich werde ich nicht vor Karneval schon krank oder habe ich soeben eine Karnevalsallergie entwickelt? Vorsichtig streiche ich über den Verkaufstresen und der Staub auf meinen Fingern beruhigt mich. Suza hat sich sofort die Verkäuferin im besten Alter gekrallt, die, Krawatten faltend, an einem Krawattenregal steht. „Tach! Ich brauche ein Kostüm, was drinnen nicht zu warm und draußen nicht zu kalt sein darf, haben Sie so etwas?“ Die Verkäuferin faltet die Krawatte in aller Seelenruhe noch zu einem kleinen Knäul zusammen, dann antwortet sie fast freundlich: „Ein- oder Mehrteiler?“ – „Egal“, erwidert Suza, „Hauptsache nicht nervig auf der Toilette.“ Die Verkäuferin sieht sich im Laden um: „Vielleicht wollen Sie sich als Mann verkleiden. Wir haben auch Schnurrbärte.“ Ich sehe mich ebenfalls um. Ich denke, dieses Geschäft ist von Herkunft her ein Herrenausstatter und ist nur kurz vor Karneval auf den Kostümzug aufgesprungen. Das verraten zumindest die Regale und die kleine Ecke, in der summa summarum sieben Kostüme an Kleiderbügeln hängen. „Naja“, sagt Suza, „es sollte schon so auffällig sein, dass ich an der Bar direkt ein Kölsch bekomme. Also ein bisschen sexy auch.“ Jetzt stellt die Verkäuferin den Kopf schief: „Oh. Wir haben hier ein schönes Piratenbraut-Outfit. Wie wäre das?“ Die Verkäuferin führt Suza zu den Kleiderbügeln und streichelt präsentierend über den Stoff, der darauf mit einem wohligen Knistern reagiert. Suza schüttelt den Kopf: „Ja, aber da ist der Hut zu groß. Dann meckern alle hinter mir, wenn wir den Zug gucken.“ So ganz langsam komme ich auf den Trichter, was Suza hier eigentlich wirklich will. Möglicherweise geht es nicht um Kostüme. Ich mische mich unterstützend ein. Unterstützend für die Verkäuferin. Oder für Suza. Oder zu meiner eigenen Belustigung, prüfend, wer von uns allen eigentlich hier am belastbarsten ist: „Suza, was ist denn mit dem Kostüm im Fenster? Zweites von rechts.“ Leider kann die Verkäuferin vom Innenraum aus das Schaufenster nicht voll einsehen und verlässt nun grumpfend den Laden. „Suza, musst du schon wieder Menschen ärgern? Dafür hast du doch mich!“ Suza schmunzelt, als die Dame des Verkaufes zurück kommt und spricht: „Entschuldigung, aber das ist kein Kostüm. Das ist eine nackte Schaufensterpuppe. Das Kostüm ist schon verkauft. Es war Meerjungfrau als Zweiteiler mit Feenstab.“ Jetzt bin ich verwirrt und will darauf hinweisen, dass das aber eine männliche Puppe ist, erinnere mich kurz daran, wo ich mich befinde und bin still. Suza nicht: „Ja! Genau das will ich!“ „Hamm wer nich mehr!“, ist die Antwort und jetzt beginnt ein Schlagabtausch. Suza: „Aber da hängt noch eins!“ Sie zeigt auf ein einsames Kostüm neben dem Unterwäscheregal. „Ah.“ Die Verkäuferin holt es: „Is im Sonderangebot. Mit grüner Perücke. 39,95.“ – „Die Perücke will ich aber nicht.“ – „Ohne Perücke geht nicht. Ist ein Must Have.“ – „Ich zahle 39,95 – ohne Perücke.“ – „Geht nicht. Muss ich mit Perücke verkaufen.“ – „Warum? Ich schenke Ihnen die Perücke.“ – „Danke, aber ich habe schon eine Perücke.“ – „Ich würde sie wegschmeißen! Und vielleicht will die Perücke noch jemand anders kaufen.“ – „Glaub nicht. Da kommt jetzt keiner mehr. Morgen ist ja schon Weiberfastnacht.“ – Ja, aber die Chance auf zusätzlichen Gewinn …“ – „Ne, Chefin sagt, nur mit Perücke, weil: ist ein Must Have.“ Suza sieht mich fragend an. Ich bin auch recht verwirrt, weil ich jetzt nicht mehr weiß, wer eigentlich wen hier veralbert. Sicher bin ich aber mal wieder, dass bundesweit ein Führungsführerschein für Führungskräfte aller Art eingeführt werden sollte. Mindestens im Einzelhandel. Suza zuckt letztendlich mit den Schultern: „Können Sie mir dann bitte das Kostüm bis Freitag früh zurücklegen? Ich denke drüber nach.“ Die Verkäuferin hängt das Kostüm wieder auf den Bügel und neben das Regal: „Das geht leider nicht. Karneval können wir nichts zurück legen, da kann immer jemand rein kommen.“ Suza sieht die Verkäuferin mit großen Augen an: „… sagt die Chefin?!“ Die Verkäuferin nickt und ist schon längst wieder dazu übergegangen Krawatten zu falten.

Suza zieht mich sprachlos aus dem Laden, baut mich davor vor ihr auf und wartet auf Antworten. „Was denn?“, frage ich. „Du hast angefangen. Suza lacht einmal kurz resignierend und sagt: „Selbes Kostüm wie jedes Jahr?“ Ich nicke und ergänze: „Und jetzt nen Doppelten bei Hubert?“ Suza schüttelt den Kopf: „Limobar: ja, aber schlimm genug für nen Doppelten war das nicht!“ Wir ziehen von dannen und summen leise schon mal ein Karnevalslied.

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