Welt retten

Ich sitze in der Limobar und warte auf Suza. Ja, ich bin heute vor ihr da, weil es in mir brodelt und ich es kaum abwarten kann, sie mit Dingen zu konfrontieren, die diese Welt zu einem sehr, sehr schlechten Ort, um dort zu leben, machen. Aufgebracht ziehe ich am Strohhalm meines heute mal speziell vitaminreichen Getränks, als Suza den Raum betritt und ich an ihrem Blick erkennen kann, dass sie an meinem Blick erkannt hat, was nun auf sie zukommt. „Schieß los“, sagt sie noch bevor wir uns begrüßen. „Pass auf“, sage ich und sie: „Stopp!“ Ich sehe sie fragend an. „Sag nicht ‚Pass auf‘ jetzt! Das ist wie wenn du einem Blinden sagst, er solle weggucken! Natürlich passe ich auf. Ich habe ‚Schieß los‘ gesagt und noch ist meine Aufmerksamkeitsspanne länger als die eines youtube-verseuchten Teenagers.“ – „Ok“, erwidere ich. Ich sehe das ein und sage: „Hör zu!“ Suzas Grumpfen hält mich nicht vom Weitersprechen ab: „Das sind katastrophale Zustände! Auf den Straßen liegt überall – ÜBERALL! – Müll. Dreck und diese Tüten, die Fische töten oder Wale. Weiß ich grad nicht. Es riecht nach Pisse und am Straßenrand stehen die armen Menschen und schreien und betteln um Nahrung. Andere werfen diese von ihren sedierten Arbeitspferden vor die Füße der Verhungernden und Kämpfe entstehen. Sie schubsen und werfen sich gegenseitig in den Matsch und den Urin. Die Hochherrschaftlichen, die die Meute füttern, sind überwiegend alte Menschen, die in ein warmes Ruhestandsbett gehören. Sie sehen gequält und verbittert aus in der Kälte, die ihnen um die Ohren weht. Und wenn es keine Greise sind, dann sind es Kinder, die zum Lächeln gezwungen, ihrer unbezahlten Kinderarbeit nachgehen. Die, die scheinbar die Anführer zu sein scheinen, regieren offenbar in einem gnadenlosen Patriachart. Eine Frau sieht man dort nicht, sie stecken stattdessen Männer in Frauenkleider, wie einst im Elisabethanischen Theater. Frauen präsentieren sie höchstens, indem sie sie mit einem Griff unter den Schritt in die Höhe halten und das Fußvolk sie bejubeln lassen. Die Mimik dieser Frauen haben sie unter Schichten von Schminke versteckt, so dass sie wirken wie halbtote Puppen. Das lässt ihr aufgesetztes Lächeln so verlogen wirken wie Veganer in Lederschuhen. Und wenn die Massen gefüttert sind, torkeln wilde Tiere, freibusige Huren auf Koks und freiende Hurensöhne durch die Viertel und dann erklären sie arme Gestalten zu Schuldigen, die sie erst irgendwo hängen und später öffentlich verbrennen. Teils sogar in Käfigen, als ob die bedauernswerten Kreaturen noch in der Lage wären zu fliehen. Suza, das ist so furchtbar! Wir leben doch im 21. Jahrhundert! Ich werde mir das nicht länger ansehen. Man muss etwas tun und ich werde etwas tun: ich werde dagegen demonstrieren!“ Vor lauter Echauffierung bin ich ganz rot geworden und Suza stellt die Ellbogen auf den Tisch und formt ihre Hände zu einer Stütze. Ich liebe das, wenn sie das macht. Und sie weiß das, so wie sie weiß, dass es manchmal das einzige ist, was mich beruhigen kann. Wenn wir mal irgendwann getrennte Wege gehen, hoffe ich, dass sie trotzdem immer spüren wird, dass ich das just brauche und vorbeikommt und ich meinen Kopf ganz kurz in ihren Händen ruhen lassen kann. Suzas Hände umschließen sanft mein Gesicht und sie spricht leise: „Mone, es ist sehr ehrenwert, dass du die Welt retten möchtest.  Ich gehe mit dir durch Dick und Dünn aber auf die Demo gehe ich nicht mit! Ich glaube, es ist keine gute Idee, gegen den Karneval zu demonstrieren!“ Ich habe mich ein wenig beruhigt, nehme meinen Kopf von Suzas Händen und lächle sie an: „Ok, dann werde wir erst im nächsten Leben echte Revoluzzer!“ Suza nickt und fragt: „Und? Wie war es?“ Ich erwidere: „Schön! Viel jebützt, sehr viel getanzt und unglaublich viel gelacht. Und bei dir?“ – „Auch.“

Und während Hubert ohne Worte, allein durch seine Blicke, fragt: “Mädels?! Jetzt ‘nen Doppelten?” und wir simultan den Kopf schütteln, sage ich: „Erzähl!“ Und Suza erzählt.

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