Gönnen können

Ich stehe mitten in der Stadt, vor einem mächtigen Portal, an dessen Seite mächtige Fackeln brennen und der überdimensional mächtige Löwenkopf über dem Eingang muss Suza wohl viel eher in der Ferne entdeckt haben als ich. Heute wollen wir mal auf die Limobar verzichten, aus dem einfachen Grund, dass Hubert immer noch keine Hummerschwänze, Black Angus Dry Aged Rib Eye Steaks, geschweige denn Champagner auf der Karte hat. Heute wollen wir aber feiern. Es ist Dienstag und an diesem Tag ist absolut nichts Besonders. Es spricht also total gar nichts dagegen, heute einfach mal das Leben und insbesondere uns mit einem fetten Essen zu ehren. Mann muss sich auch mal was gönnen können.
Ein Mann mit zurückgegelten Haaren steigt direkt vor meinen Füßen in seinen Porsche, tritt ihn, auf die Straße rollend, auf ungefähr 100 km/h hoch, um dann direkt wieder auf 30 km/h abzubremsen, um nicht den Rückstau der roten Ampel zu überfahren. Ich schüttle den Kopf und finde den Laden hier spontan unsympathisch, zumal ich den Gelkopf von der Webseite wiedererkenne. Es ist der Chef von dem Laden hier und wir bezahlen jetzt gleich wohl das Benzin für seinen nächsten Kickstart.
“Mächtig bescheuert!”, bestätigt Suza, die sich durch das laute Motorengejaule unbemerkt nähern konnte, meine Gedanken.
“Sollen wir wirklich da rein?”, frage ich sie verunsichert. “Ganz ehrlich, das sieht von außen aus wie … wie … wie ein Puff. Ein Puff mit Parkservicemensch mit Mütze davor.
Diesen Menschen grüßen wir nun freundlich, als Suza mich am Arm in den Laden zieht. Im Innern bestätigt sich zum Glück nicht die Puff-Optik-Mutmaßung, sondern es sieht aus wie in einer Geisterbahn. Dunkle, musterreiche Tapeten, schwere, Möbel aus Glas und Eisen, Goldverzierungen und Gipsköpfe von Widdern, Bullen, Büffeln und co. an allen Ecken. Das gedämpfte Licht macht es nicht besser und zum Glück können wir ob des guten Wetters raus auf die Terrasse gehen, der das Draußen-Gefühl fast ganz gänzlich genommen ist, weil sie komplett mit zwei mächtig riesigen Schirmen überdacht und von dicken Backsteinmauern umrundet ist.
Ein letzter Sonnenstrahl der tiefstehenden Sonne bahnt sich aber einen Weg auf unser Gesicht, so dass wir den Tisch, den der nervöse Serviceleiter uns zeigt, nicht sehen können. Tatsächlich entschuldigt sich nun eben dieser für die Sonne und wir sehen ihn verständnislos an. Nun gut, lieber für die Sonne entschuldigen, als später für unser Essen.
Wir finden unseren Weg zum Tisch und wollen uns erst einmal akklimatisieren, als uns schon eine Kellnerin die kiloschwere Weinkarte auf den Schoß drückt und uns diverse Aperitif-Optionen unterbreitet. Mir gefällt die Vorstellung, mal wieder einen Aperol-Spritz in Händen zu halten, mit dem Wissen, dass dieser hier der teuerste meines Lebens sein dürfte. Suza schließt sich an und leider können wir nicht gemeinsam, entspannt, freudig ehrenvoll anstoßen, denn mit dem Getränk kommt ein weiterer Servicemensch, der alterstechnisch wohl in der Ausbildung sein müsste und hält uns einen zehnminütigen Vortrag über die Spezialitäten des Hauses. Dieser Vortrag beeinflusst unsere Essenswahl, die wir anhand einer weiteren großen Karte treffen, in keiner Weise. Als der Azubi weg ist, um ausgiebig den Weimaraner am Nachbartisch zu streicheln, in den er sich, was er auch allen anwesenden Gästen gegenüber bekennt, verliebt hat.
Ich stelle mir die Frage, ob er sich vor dem Servieren unserer Speisen die Hände waschen wird und vermisse für einen kurzen Moment Hubert, von dem ich weiß, dass er sich mit seinem Sauberkeitsfimmel ständig die Hände wäscht. Und manchmal auch den Tisch an dem man sitzt – noch während man dort sitzt.
Suza unterbricht meine Gedanken und prostet mir mit der Frage „Wo drauf?“ zu. Ich zucke mit den Schultern und erwidere dann: „Auf nix? Im Großen und Ganzen weiß niemand mehr nix zu schätzen.
Kaum, dass wir die Gläser wieder abgestellt haben, stellt nun eine junge Kellnerin Steaksoße auf den Tisch, die wir kurzerhand zusammen mit dem trockenen Brot verköstigen. Die Soße ist gerade auf den Punkt eine Eins mit Sternchen. Meine Gabel nicht, stelle ich fest. Die Zacken stehen in alle Richtungen und Suza ist sich spontan sicher, dass der Azubi damit vermutlich dem letzten Hund, in den er sich verliebt hat, den Rücken gekrault hat. Ich sehe  sie böse an, und nutze dann schnell die Gelegenheit, die Gabel zu reklamieren, als wir unsere Bestellung aufgeben. Wir übermitteln unsere Wünsche einem weiteren Kellner, einem voll tätowierten Russen, der, meiner Vermutung nach, hier vielleicht auch mal den Türsteherposten übernimmt und ganz sicher draußen auf dem Parkplatz den Rindern persönlich den Hals umdreht. Da er höflichst fließend „Merci“ und „Madame“ über die Lippen kriegt, ist er hier zweifelsohne auch für den Service qualifiziert.

Als unser Essen kommt, sind wir begeistert. Nicht aufgrund der Tatsache, dass es kommt, sondern die Qualität ist aller Ehren wert. Steak, Langustenschwanz und Fischtatar – ein Gedicht. Wir genießen und schweigen und schenken den Beilagen unser Bedauern, denn diese wiederum sind nicht einen Deut besser als in Peters Pommespalais. Als der Russe abräumt, bestätigen wir, dass wir sehr zufrieden sind, auch wenn er recht verwirrt auf die nahezu unberührten Nebenspeisen guckt. Wir entschließen uns noch für einen Nachtisch – wir haben noch Hunger. Nicht umsonst heißen Sättigungsbeilagen Sättigungsbeilagen. Und noch bevor wir jemanden vom Servicepersonal rufen können, drückt uns der Russe stolz die Dessertkarten in die Hände. Wir nicken anerkennend und er teilt und stolz mit, dass er praktisch wie der Pferdeflüsterer sei. Als wie ein Frauenflüsterer dann. Noch bevor wir was sagen konnten, habe er die Dessertkarten schon gezückt und präsentiert. Das wissen wir, denn wir waren dabei und sein Vergleich kommt bei Suza nicht so gut an. Sie knallt dem Kellner an den Kopf: „Nanana, Frauen mit Pferden zu vergleichen, ist aber nicht fein!“ Das fällt dem guten Mann jetzt auch auf und empfiehlt uns peinlich berührt die Creme Brûlée, die es, er lege seine Hand dafür ins Feuer, nirgendwo besser gäbe. Ich schaue schnell auf seine Hände, alles erwartend, entpuppt sich dieses Lokal doch als Reich der tausend Möglichkeiten. Seine Hände sind tätowiert, aber nicht verbrannt, wir riskieren die Bestellung einer Creme. Und sie ist wirklich gut. Kein PiffPaffPuff-Hexenwerk, aber gut.

Während der Azubi wieder inbrünstig den Hund am Nachbartisch streichelt und sich dabei den Besitzern aufdrängt, die versuchen, in Ruhe ihr Steak zu genießen, bezahlen wir unsere Rechnung in bar und fragen uns ganz unbedarft, bis zu welchen Größen Scheine noch produziert werden, bezahlt man dieser Tage doch üblicherweise mittlerweile mit Plastik. Der Russe kann uns unsere Fragen beantworten. Natürlich! Er ergänzt sein Wissen, mit einer Geschichte: Wir als hübsche Madames könnten ja mal mit einem 100-Euro-Schein bezahlen, doch zahle er mit seinem zerfurchten Zirkusgesicht und einem 200-Euro-Schein im Supermarkt, käme umgehend der Sicherheitsdienst. Beim letzten Mal sei das jetzt nicht so dramatisch gewesen, denn dieser habe mal für ihn gearbeitet …

Noch als wir das Lokal verlassen und in Richtung Bahn wanken, müssen wir stoßweise und immer wieder giggeln.
„Und“, fragt dann Suza und ich habe eine Meinung: „Das war alles mächtig unentschieden. Was wollen die denn sein? Gourmettempel in Geisterbahnoptik mit Zirkuspersonal und Geldwaschmaschine im Kühlhaus?“
„Wohl ziemlich genau das.“ Suza nickt. „Entschieden unentschieden. Ob wir hier noch mal herkommen werden?“
„Nein. Ich denke nicht. Es sei denn, wir brauchen mal Memoirenmaterial. … Sag, hast du auch Sehnsucht nach einem sehr klar strukturiertem, wenn auch nicht auf Topniveau angesiedeltem Dienstleister mit charmanter Liebenswürdigkeit, der uns stets willkommen heißt?“
„Ja!“, ruft Suza. „Auf zu Hubert in die Limobar!“ Dann ruft sie noch „HoppHopp!“ und haut mir auf den Hintern. Allein beim Gedanken daran, nun in die Limobar zu fahren, wird mein Körper durchspült mit einem Wohlgefühl von Heimat. Es muss wohl nicht immer Kaviar sein …

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