Covidioten

Mone und ich betreten das kleine Geschäft des griechischen Gyros-Bauers unseres Vertrauens. Wir wollen in die Limobar, aber seit Corona stellt uns Hubert keine Salzstangen mehr auf den Tisch. Wir werden also Hunger bekommen und dem wollen wir vorbeugen.
Der Imbiss ist recht leer. In einer Ecke sitzt ein molliger Rentner und lutscht schweigend seine Pommes. Kostas und seine Frau bewegen sich geschäftig hinter der Theke, die durch Plexiglas vom restlichen Raum abgetrennt ist. Spuckschutz im großen Stil. Wir wissen, was wir wollen und bestellen. Dann warten wir. Vor uns hat eine Frau im besten Alter bestellt. Sie trägt ihre Maske unter der Nase, rückt sie alle zwei Minuten mit ihren Fingern auf ihrer Lippe hin und her. Sie hat eine ausgelutschte blonde Dauerwelle auf ihrem Kopf. Und „Dauerwelle“ ist nun auch ihr Thema, über das sie leider zu sprechen beginnt.

„So langsam werde ich richtig wütend auf die Regierung. Dass sie uns zwingen, diese Masken zu tragen! Das wird sich auch nicht mehr ändern. Die Zahlen bleiben doch immer gleich. Wir müssen auch in fünf Jahren noch Masken tragen, ist doch so, Delia, nicht wahr? Hasst du es nicht auch? Wir haben auch die Grippe. Deswegen tragen wir auch keine Masken!“
Mone dreht langsam ihren Kopf zu der Frau und beäugt sie. Dann wendet sie sich zur Imbissbesitzerin, die gerade Krautsalat in einer Kunststoffverpackung verstaut.
„Seitdem wir Masken tragen, haben wir alle keine Grippe mehr gehabt“, erwidert die Griechin.
Jetzt lacht die Frau unter der Dauerwelle. Sie lacht Delia aus:
„Aber wir haben ja auch Sommer! Im Sommer gibt es gar keine Grippe!“
„März war kein Sommer“, sagt Delia trocken und lächelt sie freundlich an.
Die Frau fährt unbeirrt fort. Sie berichtet über das Leiden, das die Regierung ihr persönlich zufüge. Und das alles – mit oder ohne Maske – schlichtweg gleich wäre. Niemand bräuchte Masken wegen der paar wenigen Fälle!
Dies geht sicher noch fünf Minuten so, während die Griechen das Essen zubereiten. Das Gerede der Blonden erfüllt den ganzen Raum. Sie redet laut, echauffiert sich zunehmend. Ich bemerke, wie Mone immer unruhiger wird.

Und dann passiert etwas, was ich nicht erwartet hätte. Also, von mir vielleicht, aber niemals von Mone. Sie spricht keine fremden Menschen an und vor allem weist sie Fremde ob ihres vermeintlichen Fehlverhaltens nicht zurecht!
„Sie haben das alles nicht verstanden, oder?“, bricht es aus ihr heraus. Ich lausche in Stockstarre. Das könnte jetzt interessant werden. Die Frau wendet sich zu Mone, tritt einen Schritt auf sie zu. Mone weicht zurück. Sie hat keine Angst, aber sie will den Abstand von zwei Metern einhalten, den die Imbissbesitzer hier verlangen.
„Was greifst du mich hier an?“ Die Frau ist wütend und versucht die Fassung zu wahren.
Mone antwortet: „Tue ich gar nicht. Aber vielleicht sollten Sie noch etwas mehr über das Thema lesen?!“
Die Frau geht aus ihrer Konfrontationshaltung ein wenig und einen Schritt zurück.
„Ich lese sehr viel! Ich kann das schon alles nicht mehr lesen!“ Sie macht eine abfällige Handbewegung und schnauft dabei.
„Naja, vielleicht nicht in der Bild“, sagt Mone.
„Ui“, denke ich. „Mone ist aber angefressen.“ Aber die Frau kontert das nicht direkt. Vermutlich aus guten Gründen. Stattdessen sagt sie:
„Dann hör doch einfach weg!“
Mone nickt: „Das würde ich gerne. Aber das kann ich hier gar nicht. Oder soll ich draußen warten?“
Die Frau wirkt nun ein wenig verzweifelt und äußert das auch:
„Ich wollte hier doch nur mein Gyros holen und dann wird man so angegriffen!“
„Ich auch …“, sagt Mone ohne Mitleid. Die beiden Griechen basteln weiter fleißig und besonders schnell an den Speisen. Sie schauen dabei nicht auf und hoffen vermutlich, dass das hier nicht eskaliert.
„There is no glory in prevention.“ Das ist nun Mones Statement, was ich dann doch in dieser Zielgruppe leicht übertrieben finde. Arrogant eigentlich sogar. Aber gut, so kann sie immerhin herausfinden, ob die Frau damit etwas anfangen kann. Keine Vorurteile! Diese will sich aber weiter über ihr Unrecht beschweren:
„Du greifst mich hier an! Was soll das? Ich will das überhaupt nicht mit dir diskutieren. Ich sage doch nur meine Meinung!“
Und Mone widerholt:
„Tue ich nicht! Angreifen würde ich Sie vielleicht, wenn ich Ihnen sagen würde, Sie wären dumm. Tue ich aber nicht. Obwohl das meine Meinung ist.“
„Bämm!“, denke ich. Und während ich noch eine Weile über das, was gerade passiert ist, nachdenke, bemerke ich, dass jetzt Ruhe eingekehrt ist. Niemand spricht mehr ein Wort. Es herrscht eine wundersame Ruhe. Betretenes Schweigen, aber Ruhe. So wie es ein sollte, wenn man einfach auf sein Imbissessen wartet. Die Frau bezahlt und ist im Begriff, den Laden zu verlassen, als ich merke, dass Mone ihr noch etwas sagen möchte. Ich halte sie zurück. Wir warten, bis die Frau auf der Straße ist. Dann guckt mich Mone fragend an.
„Was denn? Ich wollte ihr nur beste Gesundheit wünschen!“ Sie grinst.
„Ja, das wünschen wir uns doch alle. Sowieso!“

Während ich zum Getränkekühler gehe und drei Kurze heraushole, ist auch unser Essen fertig und wir zahlen. Draußen auf der Straße öffnen wir die Schnäpse und stoßen an:
„Auf die Gesundheit!“, sagen wir gleichzeitig.
„Wieso hast du drei mitgenommen?“, fragt mich Mone.
„Einen bringen wir Hubert zur Limobar. Er soll auch gesund bleiben!“
Auf dem Weg zur Bar murmelt Mone zunächst eine Entschuldigung, dass sie sich einmischen musste, weil sie das Gerede nicht mehr ertragen konnte und schüttelt dann den Kopf: „Covidioten …“, flucht sie. Ich hake mich bei ihr ein und hüpfe ein wenig. Diese Corona-Geschichte lässt keinen kalt. Nicht einmal die tiefenentspannte Mone. Aber ich weiß und sage es auch: „Alles wird wieder gut! Und außerdem habe ich noch nie so schnell mein Essen hier gekriegt!“

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